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Hannover, 30.05.2024 | Fast Food. Fast Service. Fast Job? Lieferdienste gibt es bereits lange. Während der Corona-Pandemie sind Online-Plattformen über die Essen, Einkäufe und Fahrservices bestellt werden können, jedoch explodiert. Beispiele sind Lieferando, Gorillas, Uber und Bolt. In der EU existieren etwa 500 Plattformen. Im Jahr 2022 arbeiteten 28 Mio. Beschäftigte über solche Plattformen, davon 5,5 Mio. in Deutschland. Es wird erwartet, dass die Zahl in 2024 auf 43 Mio. Beschäftigte ansteigt. Innerhalb von vier Jahren sind die Einnahmen der Plattformwirtschaft in der EU um das Fünffache gestiegen, sodass sie in 2020 einen Wert von 14 Mrd. EUR erreichten. Der stets steigen-de Komfort der Leistungsempfänger steht den häu-fig schlechten Arbeitsbedingungen der Plattformbe-schäftigten gegenüber. Häufig ist ungewiss, ob Ar-beitsrechtsvorschriften auf sie Anwendung finden. Um Klarheit zu bringen, hat die EU am 11. März 2024 eine Richtlinie zur Verbesserung der Arbeitsbedin-gungen in der Plattformarbeit verabschiedet (Platt-form-RL).

 

Plattformarbeit

Antonia Herfurth, LL.M., Rechtsanwältin in München und Hannover

 

Plattformarbeit als neue Arbeitsform

Plattformarbeit ist eine Arbeitsform, bei der Organisationen oder Einzelpersonen über eine digitale Arbeitsplattform mit einer anderen Person in Kontakt treten, um gegen Bezahlung spezifische Probleme lösen oder Dienstleistungen erbringen zu lassen. Die Person, die über die Plattform Leistungen erbringt, ist Plattformbeschäftigter. Plattformbeschäftigte gehen den unterschiedlichsten Tätigkeit nach wie Zustellungen, Übersetzungen, Dateneingaben, Kinderbetreuung, Altenpflege oder Taxifahrten. Zwischen dem Leistungsempfänger und dem Platt-formbeschäftigten muss kein Vertragsverhältnis bestehen.

Den Plattformen unterliegt das Phänomen der sog. Gig Ökonomie. Dabei beauftragen Auftraggeber Selbstständige und Freiberufler kurzfristig und für einen kurzen Zeitraum oder für wenige Aufträge, die Auftragnehmer springen von Auftrag zu Auftrag.

 

Plattformbeschäftigte

Plattformbeschäftigte leisten Plattformarbeit. Plattformarbeit ist jede Arbeit, die über eine digitale Arbeitsplattform organisiert und in der EU von einer Person aufgrund eines Vertragsverhältnisses mit der Plattform ausgeführt wird. Die Plattformbeschäftigten sind die Ausführenden zwischen Dienstleistungsempfänger und Plattform. Das Einkommen der Plattformbeschäftigten liegt oft unter dem Mindest-lohn. Laut den Plattformen sind sie selbstständig, nicht angestellt.

Ein Selbstständiger organisiert seine Arbeit selbst und muss für seine soziale Absicherung aufkommen, also Steuern zahlen und Sozialabgaben abführen (Krankenversicherung, Rentenversicherung, Arbeitslosenversicherung). Arbeitsgesetze, die dem Schutz von Arbeitnehmern dienen, wie das Arbeitszeitgesetz oder Urlaubsgesetz, finden auf Selbst-ständige keine Anwendung. Handelt es sich hinge-gen um Angestellte, muss der Arbeitgeber Steuern und Sozialabgaben zahlen, Arbeitsgesetze einhalten und unterliegt aus dem Arbeitsvertrag nebenvertraglichen Fürsorgepflichten. Bei Krankheit sind An-gestellte durch Entgeltfortzahlung des Arbeitgebers und Krankengeld der Krankenkasse abgesichert.

Tatsächlich ist die Tätigkeit der Plattformbeschäftigten jedoch oft wie ein Arbeitsverhältnis ausgestaltet. Die Plattformbeschäftigten sind meist organisatorisch in die Plattform eingegliedert, weisungsgebunden gegenüber dem Plattformbetreiber und erhalten Vorgaben zu ihrem Auftreten und Verhalten. Daher werden Plattformbeschäftigte häufig als Scheinselbständige eingestuft. Mehrstufige Modelle seitens der Plattformen sollen das vermeiden. Die Plattformbeschäftigten werden über mehrere Tochtergesellschaften beschäftigt und haben damit mehrere Auftraggeber, ein Indiz für echte Selbständigkeit – oder sie sind dort tatsächlich angestellt. Eine Plattform, auf der Essen bestellt werden kann, könnte ein Logistikunternehmen zwischenschalten, eine Plattform, die Mitfahrten vermittelt, ein Miet-wagenunternehmen. Dieses Modell wird jedoch als Umgehung gewertet, sodass der Auftraggeber als Arbeitgeber gilt. Fraglich ist dabei, ob eine der zwischengeschalteten Gesellschaften oder die Buchungsplattform Arbeitgeber ist.

 

Neue Plattform-Richtlinie der EU

Aufgrund der Unklarheiten bei der Plattformarbeit hat die EU die neue Plattform-RL erlassen. Zweck der Richtlinie ist es, die Arbeitsbedingungen von Personen, die Plattformarbeit leisten, zu verbessern, indem sie für eine korrekte Bestimmung ihres Beschäftigungsstatus sorgt und Transparenz und Fairness fördert. In der Plattform-RL werden Mindestrechte für Plattformbeschäftigte in der EU festgelegt. Die Richtlinie ist anwendbar, sobald eine digitale Arbeitsplattform Plattformarbeit in der EU organisiert, unabhängig von ihrer Niederlassung, also auch aus Drittländern.

 

Gesetzliche Vermutung eines Anstellungsverhältnisses

Nach der Plattform-RL gelten Plattformbeschäftigte als Angestellte, solange die Plattform nicht nachweisen kann, dass sie selbstständig sind. Die Bezeichnung durch die Parteien hat keinen Einfluss auf die rechtliche Einordnung des Arbeitsverhältnisses. Entscheidend sind die der Arbeitsleistung zugrunde liegenden Tatsachen. Ein Arbeitsverhältnis liegt vor, wenn zwei der folgenden Punkte zutreffen:

  • Bestimmung der Vergütung durch die Platt-form;
  • Aufforderung des Plattformbeschäftigten, bestimmte Regeln zu Erscheinungsbild und Verhalten einzuhalten;
  • Überwachung der Arbeitsleistung oder Überprüfung der Qualität der Arbeitsergebnisse;
  • Einschränkung der Freiheit, die Arbeit zu organisieren (insbesondere Arbeitszeit, Abwesenheitszeiten), Aufgaben an- bzw. abzulehnen oder Unterauftragnehmer in Anspruch zu nehmen;
  • Einschränkung der Möglichkeit, einen Kunden-stamm aufzubauen oder Arbeiten für Dritte auszuführen.

Transparenzpflichten gegenüber Beschäftigten

Digitale Arbeitsplattformen verwenden Algorithmen, um ihr Personal zu verwalten und zu organisieren. Künftig müssen sie die Plattformbeschäftigten darüber informieren, dass sie automatisierte Überwachungssysteme zur elektronischen Kontrolle, Überwachung und Bewertung der Arbeitsleistung einsetzen. Ferner müssen sie darüber informieren, dass sie automatisierte Entscheidungssysteme nutzen, um Entscheidungen zu treffen oder zu unter-stützen, die sich erheblich auf die Arbeitsbedingungen auswirken, insbesondere auf den Zugang der Plattformbeschäftigten zu Arbeitsaufträgen, ihren Verdienst, ihre Sicherheit und ihren Gesundheitsschutz bei der Arbeit, ihre Arbeitszeit, ihre Beförderung und ihren vertraglichen Status, einschließlich der Beschränkung, Aussetzung oder Beendigung ihres Kontos bei der Plattform.

Plattformbetreiber müssen darüber informieren, dass solche Systeme in Betrieb sind oder eingeführt werden. Beim Einsatz automatisierter Überwachungssysteme muss der Betreiber die Kategorien von Tätigkeiten nennen, die von solchen Systemen kontrolliert, überwacht oder bewertet werden, ein-schließlich der Bewertung durch den Leistungsempfänger. Beim Einsatz automatisierter Entscheidungssysteme muss der Betreiber die Kategorien von Entscheidungen nennen, die von solchen Systemen getroffen oder unterstützt werden. Ferner muss er offenlegen, nach welchen Parametern die automatisierten Entscheidungsfindung erfolgt, einschließlich der Art und Weise, wie die personenbezogenen Daten oder das Verhalten des Plattformbeschäftigten die Entscheidungen beeinflussen. Beschränkt der Plattformbetreiber das Konto des Plattformbeschäftigen, setzt es aus oder beendet es, muss er dem Beschäftigten die Gründe für die Entscheidung mitteilen. Dasselbe gilt bei der Verweigerung der Vergütung für vom Plattformbeschäftigten geleistete Arbeit, den vertraglichen Status des Plattformbeschäftigten oder für jede Entscheidung mit ähnlicher Wirkung.
Plattformen müssen dem Beschäftigten die Informationen spätestens am ersten Arbeitstag zur Verfügung stellen, im Übrigen bei wesentlichen Änderungen und jederzeit auf Anfrage der Plattformbeschäftigten. Die Plattform stellt die Informationen in prägnanter, transparenter, verständlicher und leicht zugänglicher Form, in klarer und einfacher Sprache in einem Dokument zur Verfügung. Es kann sich auch um ein elektronisches Dokument handeln.

 

Überwachung automatisierter Systeme

Plattformen müssen regelmäßig überwachen und bewerten, wie sich einzelne von automatisierten Überwachungs- und Entscheidungssystemen getroffene oder unterstützte Entscheidungen auf die Arbeitsbedingungen auswirken. Hierfür müssen die Plattformen für ausreichend und zudem qualifiziertes Personal sorgen.

 

Überprüfung automatisierter Entscheidungen

Trifft oder unterstützt ein automatisiertes Entscheidungssystem eine Entscheidung, die sich erheblich auf die Arbeitsbedingungen der Plattformbeschäftigten auswirkt, kann der Beschäftigte von der Platt-form eine Erklärung über die Entscheidung verlangen. Die Plattform muss dem Beschäftigten darauf-hin eine schriftliche Begründung für die getroffene Entscheidung übermitteln. Ist der Beschäftigte mit der Begründung nicht zufrieden, kann er eine Überprüfung der Entscheidung bei der Plattform ersuchen. Die Plattform muss das Ersuchen spätestens innerhalb einer Woche beantworten.

 

Verbesserter Datenschutz

Die Plattform-RL verstärkt den Datenschutz. Platt-formen dürfen keine personenbezogenen Daten über Plattformbeschäftigte verarbeiten, die mit der Erfüllung des Vertrags zwischen dem Plattformbeschäftigten und der Plattform nicht untrennbar verbunden und für diesen unbedingt erforderlich sind. Insbesondere dürfen sie keine personenbezogene Daten der Beschäftigten verarbeiten über

  • den emotionalen oder psychischen Zustand;
  • die Gesundheit, außer bei Artikel 9 Abs. 2 DSGVO;
  • private Gespräche; und
  • auch keine personenbezogenen Daten erheben, wenn der Plattformbeschäftigte keine Plattformarbeit leistet bzw. die Leistung solcher Arbeit nicht anbietet.

 

Transparenzpflichten gegenüber Behörden

Bisher lagen Behörden kaum Informationen über Plattformen vor – nicht über die Zahl der Personen, die regelmäßig Plattformarbeit leisten, deren Vertragsstatus oder die von der Plattform festgesetzten allgemeinen Arbeitsbedingungen. Daher waren die Behörden kaum handlungsfähig. Die neue Platt-form-RL schreibt vor, dass Plattformen, bei denen es sich um Arbeitgeber handelt, die von Plattform-beschäftigten geleistete Arbeit melden und einschlägige Daten weitergeben müssen. Sie müssen die Vorschriften und Verfahren des jeweiligen Mitgliedstaates einhalten, in dem die Plattformarbeit erbracht wird. Zuständig sind die mitgliedstaatlichen Arbeits-, Sozialschutz- und anderen einschlägigen Behörden. Sie stellen die Einhaltung der Vorschriften durch die Plattformen sicher.

 

Sanktionen

Bei Verstoß gegen die Plattform-RL sind die zuständigen Aufsichtsbehörden befugt Sanktionen in Form von Geldbußen zu verhängen. Die Höhe richtet sich nach dem Datenschutzrecht, sie kann bis zu 20 Mio. EUR betragen oder bis zu 4 % des gesamten welt-weit erzielten Jahresumsatzes des vorangegangenen Geschäftsjahrs, je nachdem, welcher Betrag höher ist. Es ist davon auszugehen, dass sich die Höhe bei „konzernangehörigen“ Unternehmen nach dem Jahresumsatz des Konzerns richten wird, wie im Datenschutzrecht.

 

Ausblick

Nicht jede Plattform ist sozial bedenklich – es gibt zahlreiche Plattformen, die tatsächlich der reinen Vermittlung dienen, z.B. für Computerexperten für bestimmte Aufträge.
Da der Rechtsakt als Richtlinie ausgestaltet ist, gilt er nicht unmittelbar, sondern die Mitgliedstaaten müssen ihn in den nächsten zwei Jahren in nationales Recht umsetzen. Bei der Umsetzung haben die nationalen Gesetzgeber Gestaltungsspielraum, können die Regeln also verschärfen. Der Digitalverband bitkom kritisiert, dass dadurch in der EU ein Flickenteppich nationaler Regelungen entstehen werde. Da die Plattformen die Arbeiter nun selbst und gesetzes-konform anstellen müssen, werden höhere Personalkosten und mehr Organisationsaufwand für die Plattformen entstehen. Das führe dazu, dass nur die großen Plattformen bestehen blieben oder die Kos-ten an die Leistungsempfänger weitergegeben wer-den. Es ist jedoch zu befürworten, dass die EU überhaupt ein Regelwerk für Plattformarbeit geschaffen hat.

 

Das Compact kann hier als pdf heruntergeladen werden.

 

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