HP Compact  |  im Juli 2011  |
Marc-André Delp, M.L.E., Rechtsanwalt in Hannover |

 

Rechtsstreitigkeiten mit Verbindung zu verschiedenen Ländern werfen oft die Frage auf, nach welcher der Rechtsordnungen diese zu entscheiden sind.

Zwar können Vertragsparteien im Grundsatz das anwendbare Recht vereinbaren – häufig kommt es dazu aber nicht, so dass das Gesetz eine Lösung bieten muss.

Im Prinzip hat jedes Land eigene Regelungen zur Zuordnung von grenzüberschreitenden Rechtsverhältnissen getroffenen, die Regelungen des internationalen Privatrechts (IPR). In Deutschland finden sich die Bestimmungen im Einführungsgesetz zum BGB (EGBGB). Damit aber nicht jedes der betroffenen Länder zu unterschiedlichen Ergebnissen bei der Zuordnung kommt, hatten die EU-Staaten ihre Regelwerke weitgehend harmonisiert. Nun hat die EU zwei Verordnungen zur Regelung vertraglicher und außervertraglicher Schuldverhältnisse erlassen, die unmittelbar in den Mitgliedstaaten wirken und damit insoweit nationale Regelungen entbehrlich machen: die sogenannte Rom-I Verordnung (Rom-I VO) und Rom-II Verordnung (Rom-II VO).

 

Vertragliche Schuldverhältnisse
–  Die Rom-I Verordnung

Die Rom-I Verordnung (Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008) regelt das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht.

Sie gilt in allen Mitgliedstaaten mit Ausnahme Dänemarks seit dem 17.12.2009 Die VO ist auf alle Schuldverhältnisse anwendbar, die seit dem 17.12.2009 entstanden sind.

 

Das Grundprinzip der Zuordnung

Die Regelungen zur Zuordnung greifen immer dann ein, wenn die Vertragsparteien keine ausdrückliche oder stillschweigende Rechtswahl getroffen haben.

Die Rom-I VO folgt dabei dem bereits zuvor im deutschen Recht geltenden Prinzip, dass ein Schuldverhältnis dem Recht des Landes unterliegt, zu dem es die engste Verbindung aufweist. Das ist im Grundsatz das Land, in dem die Vertragspartei ihren Sitz hat, die die vertragscharakteristische Leistung erbringt und nicht nur die Vergütung zu zahlen hat. Ergibt sich aus der Gesamtheit der Umstände, dass der Vertrag eine offensichtlich engere Verbindung zu einem anderen Staat aufweist, so ist dessen Recht anzuwenden.

Diese Zuordnung hat die Rom-I VO für bestimmte Vertragsarten in einem Katalog konkretisiert:

 

Kaufverträge

Kaufverträge unterliegen dem Recht des Staates, in dem der Verkäufer seinen gewöhnlichen Aufenthalt oder Geschäftssitz hat. Dabei kann es zu Schwierigkeiten in der Abgrenzung kommen, wenn der Verkäufer seinen Sitz in einem Land hat, aber durch eine andere Organisationseinheit, z.B. eine Niederlassung oder einen Vertreter in einem anderen Land, den Vertrag abgeschlossen hat. Unter Umständen kommt der Vertrag auch im Zusammenwirken zweier Einheiten zustande, wobei erst bei Abschluss die Verwaltung des Verkäufers am Hauptsitz in einem anderen Land in Erscheinung tritt.

Verträge über den Kauf beweglicher Sachen durch Versteigerung unterliegen jedoch dem Recht des Staates, in dem die Versteigerung abgehalten wird, sofern der Ort der Versteigerung benannt ist.

 

Dienstleistungen, Vertrieb

Dienstleistungsverträge unterliegen dem Recht des Staates, in dem der Dienstleister seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat.

Vertriebsverträge unterliegen dem Recht des Staates, in dem der Vertriebshändler seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, das gleiche gilt für Franchisenehmer in Franchiseverträgen.

 

Miete, Pacht , Leasing

Die Miete /Pacht für unbewegliche Sachen für höchstens sechs aufeinander folgende Monate unterliegt dem Recht des Staates, in dem der Vermieter seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat.

Dagegen richten sich Immobilien-Verträge nach dem Belegenheitsprinzip: Grundstückskaufverträge und sonstige Verträge über ein dingliches Recht an unbeweglichen Sachen sowie die Mietverträge und Pachtverträge an Immobilien unterliegen dem Recht des Staates, in dem das Objekt liegt.

 

Beförderungsverträge

Für die Beförderung von Gütern gilt das Recht des Staates, in dem der Beförderer seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, sofern sich in diesem Staat auch der Übernahmeort oder der Ablieferungsort oder der gewöhnliche Aufenthalt des Absenders befindet. Andernfalls ist das Recht des Staates des vereinbarten Ablieferungsortes anzuwenden.

Bei Personenbeförderungsverträgen ist das Recht des Staates anzuwenden, in dem die zu befördernde Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat, sofern sich in diesem Staat auch der Abgangs- oder der Bestimmungsort befindet. Ansonsten gilt das Recht des Staates, in dem der Beförderer seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat.

Verbraucherverträge

Ein Vertrag zwischen einem Verbraucher und einem Unternehmer richtet sich nach dem Recht des Staates, in dem der Verbraucher seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat.

Dies gilt aber nur, wenn der Unternehmer seine Tätigkeit in demselben Staat ausübt oder seine Tätigkeit auf irgendeine Weise auf diesen Staat – gegebenenfalls auch neben anderen Staaten –  ausrichtet und der Vertrag in den betreffenden Tätigkeitsbereich fällt. Angebote im E-Commerce fallen in aller Regel unter diese Voraussetzungen.

Als Verbraucher gilt eine natürliche Person, wenn sie zu einem privaten Zweck handelt, der also nicht ihrer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit zugerechnet werden kann. Als Unternehmer gilt, wer in Ausübung seiner beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit handelt. Ein Unternehmer kann also in seinen privaten Angelegenheiten auch Verbraucher sein.

 

Individualarbeitsverträge

Arbeitsverträge unterliegen dem Recht des Staates, in dem der Arbeitnehmer in Erfüllung des Vertrages gewöhnlich seine Arbeit verrichtet.

 

Forderungerungsübergang, Bürgschaft

Das Verhältnis aus der Übertragung einer Forderung unterliegt dem Recht, das nach dieser Verordnung auf den Grund-Vertrag zwischen dem alten und dem neuen Gläubiger anzuwenden ist.

Hat ein Gläubiger eine vertragliche Forderung gegen einen Schuldner  und ist ein Dritter, zum Beispiel ein Bürge, verpflichtet, den Gläubiger zu befriedigen oder hat er den Gläubiger befriedigt, so bestimmt das für die Verpflichtung des Dritten maßgebliche Recht, ob und in welchem Umfang er die Forderung des Gläubigers gegenüber dem Schuldner geltend machen kann.

 

Nichtvertragliche Schuldverhältnisse
– Die Rom-II Verordnung

Die Rom-II Verordnung (Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und Rates vom 11. Juli 2007) bestimmt das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht.

Sie gilt in allen Mitgliedstaaten mit Ausnahme Dänemarks seit dem 11 01.2009. Sie ist auf alle außervertraglichen Schuldverhältnisse anwendbar, die seit dem 20.08.2007 entstanden sind.

Die Rom-II VO deckt einige Rechtsbereiche nicht ab: Steuer- und Zollangelegenheiten, Staatshaftung, Familienangelegenheiten oder verwaltungsrechtliche Angelegenheiten.

Der Bestimmungen stellen häufig auf den gewöhnlichen Aufenthalt ab. Bei Gesellschaften, Vereinen und juristischen Personen ist darunter der Ort ihrer Hauptverwaltung zu verstehen Dem stehen der Ort der Zweigniederlassung, Agentur oder sonstigen Niederlassung gleich, wenn der Schaden dort eintritt.

Der gewöhnliche Aufenthaltsort einer natürlichen Person, die im Rahmen der Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit handelt, ist der Ort ihrer Hauptniederlassung.

 

Unerlaubte Handlungen

Auf ein außervertragliches Schuldverhältnis aus unerlaubter Handlung ist das Recht des Staates anzuwenden, in dem der Schaden eintritt. Nicht relevant ist das schadensbegründende Ereignis oder indirekte Schadensfolgen. Haben Schädiger und Geschädigter zum Zeitpunkt des Schadenseintritts ihren gewöhnlichen Aufenthalt in demselben Staat, so unterliegt die unerlaubte Handlung dem Recht dieses Staates. Wenn eine Gesamtbetrachtung der Umstände ergibt, dass die unerlaubte Handlung offensichtlich eine engere Verbindung zu einem anderen Staat aufweist, so ist dessen Recht anzuwenden.

 

Produkthaftung

Für Ansprüche aus Produkthaftung ist das Recht des Staates anzuwenden, bei dem die geschädigte Person beim Eintritt des Schadens ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatte, sofern das Produkt in diesem Staat in den Verkehr gebracht wurde. Ansonsten ist das Recht des Staates anwendbar, in dem das Produkt erworben wurde, falls das Produkt in diesem Staat in den Verkehr gebracht wurde. Anderenfalls ist das Recht des Staates anwendbar, in dem der Schaden eingetreten ist, falls das Produkt in diesem Staat in Verkehr gebracht worden ist. Konnte die Person, deren Haftung geltend gemacht wird, das Inverkehrbringen des Produkts oder eines gleichartigen Produkts in dem Staat, dessen Recht anzuwenden ist, vernünftigerweise nicht voraussehen, so ist stattdessen das Recht anwendbar, in dem die Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat.

Wenn eine Gesamtbetrachtung der Umstände ergibt, dass die Handlung offensichtlich eine engere Verbindung zu einem anderen Staat aufweist, so ist dessen Recht anzuwenden.

 

Wettbewerbsverletzungen

Auf Ansprüche aus unlauterem Wettbewerbsverhalten ist das Recht des Staates anzuwenden, in dessen Gebiet die Wettbewerbsbeziehungen oder die Verbraucherinteressen beeinträchtigt sind oder wahrscheinlich beeinträchtigt werden. Wird nur ein bestimmter Wettbewerber durch das unlautere Wettbewerbsverhalten beeinträchtigt, so gelten die allgemeinen Regelungen. Eine Rechtswahl der Parteien ist nicht möglich.

 

Umweltschädigung

Bei einer Umweltschädigung oder einem daraus resultierenden Sach- oder Personenschaden ist die allgemeine Regelung anwendbar. Der Geschädigte hat aber die Wahl, seinen Anspruch auf das Recht des Staates zu stützen, in dem das schadensbegründende Ereignis eingetreten ist.

 

Verletzung geistigen Eigentums

Verletzungen von geistigem oder gewerblichem Eigentum, zum Beispiel von Patenten, Urheberrecht, Marken etc., können nach dem Recht des Staates verfolgt werden, für den der Verletzte Schutz beansprucht. Eine Rechtswahl der Parteien ist nicht möglich.

 

Ungerechtfertigte Bereicherung, Geschäftsführung ohne Auftrag

Knüpft das außervertragliche Schuldverhältnis aus ungerechtfertigter Bereicherung oder aus Geschäftsführung ohne Auftrag an ein zwischen den Parteien bestehendes Rechtsverhältnis an, das eine enge Verbindung mit dieser ungerechtfertigten Bereicherung oder mit dieser Geschäftsführung ohne Auftrag aufweist, so ist das Recht des Staates anzuwenden, dem das Rechtsverhältnis unterliegt.

Kann das Recht nicht bestimmt werden und haben die Parteien zum Zeitpunkt des Eintritts des Ereignisses ihren gewöhnlichen Aufenthalt in demselben Staat, so ist das Recht dieses Staates anwendbar.

Kann das Recht auch hiernach nicht bestimmt werden, so ist das Recht des Staates anzuwenden, in dem die ungerechtfertigte Bereicherung eingetreten ist oder die Geschäftsführung erfolgte. Wenn eine offensichtlich engere Verbindung zu einem anderen Staat vorliegt, ist dessen Recht anwendbar.

 

Verschulden bei Vertragsverhandlungen

Auf außervertragliche Schuldverhältnisse aus Vertragsverhandlungen ist das Recht anzuwenden, das auf den Vertrag anzuwenden ist oder im Falle des Vertragsabschlusses anzuwenden gewesen wäre. Es kommt nicht darauf an, ob der Vertrag geschlossen wurde.

Kann die Rechtsauswahl so nicht zu ermittelt werden, ist das Recht des Staates anzuwenden, in dem der Schaden eingetreten. Falls die Parteien zum Zeitpunkt des Eintritts des schadensbegründenden Ereignisses ihren gewöhnlichen Aufenthalt in demselben Staat hatten, ist dessen Recht maßgeblich. Liegt aber eine offensichtlich engere Verbindung zu einem anderen Staat vor, geht dessen Rechtsordnung wiederum vor.

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